Lange Zeit war umstritten, ob bei widerrufenen Fernabsatzgeschäften dem Verbraucher die Versandkosten (Kosten der Zusendung) erstattet werden müssen. Der BGH legte diese Frage per Beschluss vom 1.10.2008 – VIII ZR 268/07 dem EuGH vor, welcher dies nun in seinem Urteil vom 15.4.2010 – C-511/08 bejahte:
Die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 97/7, wonach diese Bestimmungen sämtliche Kosten im Zusammenhang mit dem Abschluss, der Durchführung oder der Beendigung des Vertrags erfassen, die im Fall des Widerrufs zulasten des Verbrauchers gehen können, entspricht der allgemeinen Systematik und dem Zweck dieser Richtlinie.
Für diese Auslegung spricht nämlich zum einen die Tatsache, dass im 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 selbst in den Sprachfassungen, die in Art. 6 den Ausdruck „infolge“ oder eine ähnliche Formulierung verwenden, die Kosten genannt werden, die vom Verbraucher „im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts“ getragen werden. Entgegen dem Vorbringen der deutschen Regierung bezieht sich Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 dieser Richtlinie daher auf sämtliche im Rahmen des Vertrags angefallenen Kosten und nicht nur auf die durch den Widerruf verursachten Folgekosten.
Zum anderen ergibt sich aus dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 in Bezug auf die Zielsetzung von Art. 6, dass mit dem Verbot, dem Verbraucher im Fall seines Widerrufs die durch den Vertrag entstandenen Kosten aufzuerlegen, gewährleistet werden soll, dass das in dieser Richtlinie festgelegte Widerrufsrecht „mehr als ein bloß formales Recht“ ist (vgl. dazu Urteil vom 3. September 2009, Messner, C-489/07, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 19). Da mit Art. 6 daher eindeutig das Ziel verfolgt wird, den Verbraucher nicht von der Ausübung seines Widerrufsrechts abzuhalten, liefe eine Auslegung, nach der es den Mitgliedstaaten erlaubt wäre, eine Regelung vorzusehen, die dem Verbraucher im Fall eines solchen Widerrufs die Kosten der Zusendung in Rechnung stellt, diesem Ziel zuwider.
Wie bereits dargelegt, gestattet es Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 dieser Richtlinie dem Lieferer nur, dem Verbraucher im Fall des Widerrufs die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren aufzuerlegen.
Sollten dem Verbraucher auch die Kosten der Zusendung in Rechnung gestellt werden, liefe eine solche Belastung, die zwangsläufig geeignet ist, ihn von der Ausübung des Widerrufsrechts abzuhalten, der Zielsetzung von Art. 6 der Richtlinie zuwider, auf die bereits vorstehend in Randnr. 54 hingewiesen worden ist.
Im Übrigen stünde eine solche Belastung einer ausgewogenen Risikoverteilung bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz entgegen, indem dem Verbraucher sämtliche im Zusammenhang mit der Beförderung der Waren stehenden Kosten auferlegt würden.
Zudem kann die abschreckende Wirkung, die es auf die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher hätte, wenn ihm diese Kosten auferlegt würden, nicht dadurch beseitigt werden, dass er vor Vertragsschluss über die Höhe der Zusendungskosten unterrichtet worden ist.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Lieferer in einem im Fernabsatz abgeschlossenen Vertrag dem Verbraucher die Kosten der Zusendung der Ware auferlegen darf, wenn dieser sein Widerrufsrecht ausübt.
EuGH, Urteil vom 15. April 2010 – C-511/08